Vor ein paar Tagen postete ich auf unserem Instagram Account den Spruch „Oft erkennst du erst am Ende eines Weges, warum du ihn gehen musstest“. Als ich mich damit auseinandersetzte merkte ich, dass es etwas mit mir machte und erkannte: Es ist meine Geschichte. Und deshalb habe ich mich entschlossen, sie aufzuschreiben.
Depressionen, Burnout? Ich doch nicht!

Mein Weg endete vor ca. 6 Jahren in der Praxis meiner Frauenärztin, als sie den für mich entscheidenden Satz zu mir sagte: „Sie sehen nicht gut aus.“. Daraufhin brach ich in ihrem Sprechzimmer zusammen und erzählte ihr meine Geschichte, die ich bis zu diesem Zeitpunkt niemandem erzählt hatte, nicht einmal meiner Familie oder besten Freundin. Ohne ins Detail gehen zu wollen handelt die Geschichte davon, dass ich über mehrere Jahre in meinem Beruf immer unzufriedener wurde. Ich konnte nicht sagen, woran es lag. Ich habe nichts hinterfragt, auch mich selbst nicht. Jede neue Aufgabe, die mein Chef mir gab, nahm ich an, obwohl ich bereits genug zu tun hatte. Ich sagte immer „Ja“, nie „Nein“. Obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – ich zu meinem Chef ein sehr gutes Verhältnis hatte, habe ich es nicht über mich gebracht, seine Aufgaben abzulehnen. Ich konnte ihm und auch mir gegenüber doch nicht zugeben, dass ich überfordert war. Allerdings war es mir zu diesem Zeitpunkt als solches nicht einmal bewusst. Ich hatte Angst, dass man schlecht über mich denkt, wenn ich „Nein“ sage. Es kam für mich auch einfach gar nicht in Frage, eine Bitte eines Vorgesetzen abzulehnen.
Ich machte weiter und merkte, dass ich über die Jahre immer kränker wurde und auch immer längere Fehlzeiten aufwies. Ich hatte Mühe, morgens aus dem Bett zu steigen, war ständig müde, weil ich schlecht schlief. Nachts kreisten die Gedanken um die Arbeit. Teile meiner Arbeit blieben liegen, weil ich sie tatsächlich nicht schaffte. Mein innerer Druck wuchs, dadurch auch meine Erkrankungen. Der vorläufige Schlusspunkt war eine chronische Sehnenentzündung im Ellenbogen, die mich monatelang außer Gefecht setzte. Egal, welche Therapie ich machte, nichts half. Mein damaliger Physiotherapeut äußerte mir gegenüber einmal den Verdacht, dass meine chronischen Schmerzen vielleicht psychische Ursachen haben könnten. Diesen Gedanken tat ich als abwegig ab. Ich hatte von psychischen Erkrankungen gehört, aber doch nicht ich! Um es vorweg zu nehmen: Damals hatte er Recht! Heute bin ich beschwerdefrei. Es gab Menschen in meinem Umfeld, die mir sagten, dass ich mich verändert hätte. Auch das nahm ich nicht ernst. Ich merkte nicht, dass ich immer ruhiger wurde. Mir fehlte der Antrieb, hatte keine Lust mehr, mich mit Freunden zu treffen. Einerseits freute ich mich auf eine Verabredung, aber dann sagte ich sie kurz vorher aus irgendeinem fadenscheinigen Grund doch wieder ab, weil ich mich nicht aufraffen konnte. Ich wollte einfach in Ruhe gelassen werden. Meine Lustlosigkeit führte ich auf den Stress im Job zurück. Als es dann noch Ärger im Job und mit Kollegen gab, die mich schlecht behandelten, wuchs mein innerer Druck immer weiter, bis er sich bei meiner Frauenärztin schließlich Bahn brach.
Sie machte den Vorschlag, wenn ich dazu bereit wäre, einen stationären Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik in Betracht zu ziehen. An diesem Tag in ihrer Praxis wurde mir erstmals bewusst, dass ich Hilfe brauchte und nahm ihren Vorschlag sofort an.
Ich nahm Hilfe an und wuchs daran
Acht Wochen verbrachte ich in dieser Klinik. Acht schwere und schmerzliche Wochen. Acht Wochen des sich Wehrens, am Boden sein, des Erkennens und des Auferstehens. Es war eine Zeit, in der ich völlig in mich zusammenfiel. Mir wurde vor Augen geführt, dass ich bisher ein Leben geführt hatte, das ich so in dieser Art gar nicht führen wollte. Ich erkannte, dass ich mich selbst gar nicht kannte, keine Liebe und Verständnis für mich übrig hatte. 45 Jahre meines Lebens! Ich habe meinen Burnout und meine Depression nicht gesehen. Nun durfte ich lernen, dass ich an einer psychischen Erkrankung litt. ICH! Die immer lachte, nach außen immer fröhlich war, immer mit einem Spruch auf den Lippen. Ich, die immer gerne für andere da war, nur eben für mich selbst nicht.
In diesen acht Wochen lernte ich sehr viel über mich selbst. Ich lernte tatsächlich MICH das erste Mal in meinem Leben kennen! Warum ich so bin, wie ich bin. Jeder verdammte schmerzhafte Tag in der Klinik brachte meinen Weg zu mir ein Stück näher. Ich lernte, dass ich das Recht habe „Nein“ sagen zu dürfen und dass es das Problem meines Gegenübers ist, wenn er mit meiner Ablehnung nicht zurechtkommt. Ein „Nein“ bedeutet ein „Ja“ zu mir. Ein langer Prozess führte mich dazu zu erkennen, dass ich mehr Zeit und Raum für mich beanspruchen darf und mehr für mich sorgen sollte, als ständig um das Wohl anderer besorgt zu sein. In der Zeit meines Klinikaufenthalts begann ein Veränderungsprozess in mir, von dem ich nicht wusste, wohin er mich führen wird. Schon bevor ich in die Klinik ging, gab es Probleme in meiner Ehe. Mein Mann hatte damals große Angst, dass ich in der Klinik einer „Gehirnwäsche“ unterzogen werde und sein und unser Leben durcheinanderbringen könnte.
Tatsächlich begann für uns nach meinem Aufenthalt eine schwierige Zeit. Denn durch meine Veränderungen, die ich ja nun auch in meinen Alltag integrieren musste und wollte, fand auch eine Veränderung in meinem Umfeld statt. Mein Mann hatte anfangs Probleme damit, dass ich nun plötzlich auch einmal „Nein“ sagte oder ich mir Zeit für mich herausnahm. Er nannte mich eine Egoistin. Er kannte es ja nicht anders. Doch durch die Zeit in der Klinik habe ich gelernt, mit solchen Reaktionen umzugehen. Dadurch, dass ich standhaft blieb und merkte, dass mich seine Anschuldigung nicht störte, bemerkte ich eine bereits vorhandene Stärke in mir, die es vorher nicht gab. Mir wurde klar, dass er selbst Angst vor Veränderungen hatte. In der Klinik lernte ich sehr viel über andere Menschen und deren Bedürfnisse und Beweggründe. So konnte ich die Ängste meines Mannes besser nachvollziehen und fühlte mich nicht angegriffen. Tatsächlich sind wir beide gestärkt aus meiner Krise herausgegangen, jeder für sich, aber auch gemeinsam als Paar und Familie. Allerdings habe ich in dieser Zeit auch Menschen verloren, die mit meiner Veränderung nicht umgehen konnten und sich mein altes Ego zurück wünschten und sich daraufhin abwendeten. Das war sehr schwer für mich zu verstehen. Aber auch das durchzustehen hat mich nur darin bestärkt, dass ich auf meinem richtigen Weg zu mir selbst bin.
Meine Therapeutin in der Klinik hatte mir schon damals prophezeit, wohin mein Weg für mich einmal gehen wird. Und wenn ich mich jetzt so betrachte, muss ich sagen, dass sie Recht hatte und MICH schon damals gesehen hat, bevor ich mich selbst gesehen habe. Ich fühle mich wohl auf meinem neuen Weg, auf dem ich viel Neues erlernen und kennenlernen durfte und darf. Ich habe tolle neue Leute kennengelernt, die mein Leben bereichern und diesen Weg mit mir gehen und mich dabei unterstützen. Noch kann ich nicht sagen, dass ich angekommen bin, aber es fühlt sich richtig an, diesen neuen Weg zu erkunden.
Ich bin dankbar
Es mag sich für den einen oder anderen vielleicht merkwürdig anhören, aber ich bin dankbar für diesen harten und steinigen Weg, den ich gehen durfte. Ich bin auch dankbar für die Menschen, die mich bis zu dieser Mauer begleitet haben und umgekehrt sind und für die, die mich auch weiterhin begleiten werden. Mein Weg führte mich an eine Mauer. Diese Mauer war ich selbst! Ich hätte diese Mauer ignorieren, durchbrechen und den eingeschlagenen Weg weitergehen können. Sie zwang mich stehen zu bleiben und zu reflektieren, wohin ich zukünftig gehen möchte. Ich habe mich entschlossen, neue Pfade zu betreten und damit einen neuen Weg einzuschlagen. Jetzt habe ich erkannt, warum mich mein Weg bis zu dieser Mauer geführt hat. Es ist gut, dass sie da steht und stehen bleiben wird, denn sie ist ein wichtiger, wegweisender Teil von mir. Nun gehe ich aber neue Wege und werde irgendwann, ganz sicher, komplett bei mir angekommen sein. Vielleicht wird es auch weitere Mauern geben, die mich zum Umlenken bringen, bis ich da angekommen bin, wo ich hin möchte.
Mit meiner Geschichte möchte ich Mut machen, sich Unterstützung zu suchen, wenn man an seiner eigenen persönlichen Mauer steht. Ob nun in Form einer psychotherapeutischen Sitzung, eines Coachings oder auch eines Gesprächs unter Freunden. Ich wäre ohne professionelle Unterstützung nicht dort, wo ich jetzt bin. Ich habe mich jemandem anvertraut. Manchmal ist die Unterstützung durch andere der erste Schritt auf einem neuen Weg zu dir selbst.
Und ich möchte Mut machen keine Angst vor Veränderungen zu haben. Veränderung heißt loslassen und ist der Beginn von etwas Neuem. Veränderung bedeutet Leben. Ich habe mich verändert und habe mein Leben und mich neu entdeckt. Für meinen Mut bin ich mir unendlich dankbar!
Deine Mel