Rituale als Anker

Rituale als Anker unseres Lebens

Ritual

Mein Mann pflegt jeden Morgen vor dem Weg zur Arbeit seinen Kaffee zu trinken und dabei die Neuigkeiten auf seinem iPad zu lesen. Ihm ist es am liebsten, wenn er dabei nicht gestört wird. Ich habe es lange Zeit nicht verstanden und empfand es als langweilig… bis ich genauer hingeschaut habe und feststellte, dass ich ebenso meine Rituale habe und sie mir „heilig“ sind.

Rituale… sie entwickeln sich meist unbemerkt über einen langen Zeitraum und werden oft gar nicht so bewusst wahrgenommen. Mal ist es der Kaffee am Morgen, eine Meditation zum Ausklang des Tages, oder das wöchentliche Treffen mit den Freunden. Jeder Mensch hat seine Rituale, die ihm guttun. Und wir brauchen sie. 

Doch warum ist das so?

Wenn wir das Wort Rituale hören, denken wir oft an altbackene, manchmal auch religiös besetzte Verhaltensweisen. Sie sind nach vorgegebenen Regeln ablaufende Handlungen, die zu festgelegten Zeiten stattfinden und einem gleichen, wiederkehrenden Ablauf folgen. Doch sie sind weit mehr als das! Sie sind liebgewonnene persönliche Angewohnheiten, die uns in unserem Alltag fehlen, wenn sie einmal ausfallen müssen. Über diese verinnerlichten Abläufe denken wir nicht mehr nach, weil sie zur Normalität geworden sind. 

Es sind die Anker unseres Lebens! Anker, die wir in unserem unruhigen Leben ausgeworfen haben, um uns zu stabilisieren und Halt zu geben. Wir benötigen, gerade in der heutigen Zeit, feste Strukturen und geregelte Abläufe. Diese Muster von Wiederholungen ermöglichen uns einen sicheren Rahmen, um uns mit Selbstvertrauen, Kraft und Zuversicht durch unser Leben zu bewegen. Wir fahren sozusagen auf Autopilot, wenn wir Rituale leben. Das hilft uns, uns auf die wichtigen Dinge zu fokussieren. 

Durch das Ritual spüren wir, dass wir nicht allein sind, sondern Teil einer Gemeinschaft. Indem wir wiederholt gemeinsam etwas tun, werden wir uns der Tatsache bewusst, Teil von etwas zu sein. Dieses Zugehörigkeitsgefühl vermittelt Sicherheit und Geborgenheit. 

Gerade auch im Familienleben haben gemeinsame Rituale eine große Bedeutung. Sie geben dem Alltag der Kinder eine feste Struktur, in der sie sich wohlfühlen und die für ihre gesunde Entwicklung wichtig ist. Immer wiederkehrende Ereignisse wie gemeinsame Mahlzeiten, das Vorlesen vorm Schlafengehen oder der Gute-Nacht-Kuss sind genauso wichtig wie die Schultüte am ersten Schultag, das gemeinsame Schmücken des Weihnachtsbaumes an Heiligabend oder die Abiturfeier. Es gehört zum Leben dazu. Dieses gemeinsame emotionale Erleben stärkt das Gefühl der Verbundenheit und fördert den Zusammenhalt. 

Auch für Erwachsene in stressigen oder emotional belastenden Momenten können Rituale wertvolle Anker sein. Zum Beispiel kann der bekannte Ablauf bei Trauerfeierlichkeiten dabei helfen, sowohl diese belastende Situation zu überstehen, als auch bei der Verarbeitung des Verlustes und beim Abschließen, um sich Neuem öffnen zu können. Ebenso hilft den Hinterbliebenen das Gedenken an den Verstorbenen zu den Jahrestagen bei der Bewältigung ihrer Trauer, und Sie finden Halt in diesem wiederkehrenden Ritual. Dadurch haben sie das Gefühl, eine Situation kontrollieren zu können, in der sie sich eigentlich völlig machtlos fühlen.

Warum sind aber diese Anker für uns so wichtig?

Der Mensch hat sein Leben gern unter Kontrolle und sehnt sich nach Geborgenheit. Rituale geben unserem Alltag Struktur und damit ein Gefühl von Sicherheit. Wenn du zum Beispiel jeden Morgen gerne deinen Kaffee trinkst und er einmal alle ist, fühlst du dich unsicher und unruhig. Wir mögen keine Veränderungen und erst recht keinen Stress. Uns bekannte Dinge oder Verhaltensweisen, die wir selbst kontrollieren können, die wir in- und auswendig beherrschen lassen uns Herausforderungen oder unnötige Belastungen besser meistern. 

Gerade in Krisenzeiten sind solche Anker sehr wertvoll. Sie machen unser Leben vorhersehbarer, lassen uns in einem für uns bekannten Rahmen bewegen und geben uns damit einen Ort der Sicherheit. Wissenschaftliche Studien belegen, wie sehr uns Rituale in schwierigen Situationen helfen. Eine Forschung an der Harvard University ergab, dass Rituale Ängste und Stress verringern können.

Viele vergessen gerade jetzt in der Pandemie-Zeit an sich selbst zu denken, da sie damit beschäftigt sind, sich um ihre Gesundheit, Finanzen oder andere geliebte Menschen zu kümmern. Um so mehr benötigen wir jetzt unsere liebgewonnenen Gewohnheiten, unsere Wohlfühlmomente, wie banal und einfach sie auch sein mögen, denn sie geben uns die Kraft und den Ansporn weiterzumachen. Also nehmt euch die Zeit zum Ausschlafen, ein gutes Buch vorm Einschlafen oder eine entspannende Gesichtsmaske einmal in der Woche. Es sind die kleinen Dinge, die wichtig sind. 

Rituale haben einen positiven Effekt auf unser Wohlbefinden und damit auch auf unsere Gesundheit. Sie stellen eine Belohnung dar, wie etwa das entspannende Schaumbad am Abend nach einem stressigen Tag. Studien zeigen, dass Rituale Gefühle wie Glück und Freude verstärken können, also wie ein Gefühlsbooster wirken. Sich für etwas Zeit zu nehmen, auf das man sich freut, macht es um so wertvoller. Rituelle Handlungen stärken also unsere Zufriedenheit und unser Glücksempfinden.

Rituale im Alltag – wie Du sie sinnvoll einbauen kannst

Da jeder Mensch anders tickt und dementsprechend auch andere Rituale hat, kann man nicht pauschal sagen, welche Rituale deinen Alltag verbessern können. Es gibt aber ein paar allgemeingültige Tipps, die dir dabei helfen können, deinen Alltag zu strukturieren und somit entspannter und produktiver in den Tag zu starten:

Morgenroutine:

  • Nimm dir morgens Zeit für die Dinge, die dir morgens wichtig sind. Ohne Zeitdruck kannst du entspannt duschen, deinen Kaffee trinken, frühstücken oder auch deine Social Media Accounts checken. 

Rituale am Arbeitsplatz:

  • Gönne dir Pausen während der Arbeit. Das verhindert Stresssituationen und macht dich produktiver.
  • Gehe mit Kollegen gemeinsam Mittagessen. Der persönliche Austausch ist wichtig und fördert das Gemeinschafts-und Zusammengehörigkeitsgefühl.
  • Mache einen kurzen Spaziergang im Park und genieße die Sonne, die dir ins Gesicht scheint. 
  • Wenn du unter Zeitdruck stehst, versuche dich zu fokussieren, schaue aus dem Fenster und atme mehrmals tief durch. So kannst du deine Konzentration anschließend wieder voll und ganz auf deine Arbeit richten.

Abendroutine:

  • Genieße den Abend, ohne an den Job zu denken
  • Trinke einen Entspannungstee und lies dazu ein spannendes Buch
  • Dimme das Licht, einige Zeit bevor du ins Bett gehst, denn helles Licht hält dich künstlich wach
  • Mache dich „bettfertig“, so lange du noch nicht zu müde dafür bist, dann kannst du gleich ins Bett gehen, wenn du müde wirst

Rituale im privaten Bereich:

  • Nimm dir Zeit Menschen zu treffen, die dir wichtig sind und dir guttun
  • Mache regelmäßig Sport, der dir Spaß macht
  • Verwöhne dich mit Kleinigkeiten, die dich glücklich machen, sei es ein Stück Schokolade, ein Kleidungsstück oder gute Musik
  • Baue Entspannungstechniken (Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation, Meditation) in deinen Alltag ein.

Genieße deine Rituale, deine Anker in deinem Leben, in vollen Zügen und lebe sie aus! Das Gute ist, dass sie immer wieder neu erfunden werden können. Wenn es gerade Dinge gibt, die dir guttun, mach sie zu deinem neuen Ritual und heiße es in deinem Leben so oft wie möglich willkommen.

Deine Mel


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