Schuld

Schuldgefühle … Fluch oder Segen?

Schuld

Wer kennt sie nicht? Schuldgefühle … Fragen wie: „Bin ich daran schuld, dass …?, Wieso habe ich bloß …?, Hätte ich doch nur …?“ nagen an uns. Wir fühlen uns schlecht und machen uns Selbstvorwürfe. Begleitet werden diese Fragen dann häufig mit belastenden, bedrohlichen oder quälenden Gefühlen, die man am liebsten möglichst schnell wieder loswerden möchte. Schuldgefühle gehören zu den unliebsamsten und am meisten unerwünschten Emotionen, die wir in uns tragen. 

So unschön dieses Gefühl auch ist, kann es nicht doch möglich sein, dass wir dieses beklemmende Gefühl wertschätzen und anerkennen können, weil es uns vielleicht etwas sagen möchte?

Das können wir uns einmal genauer ansehen. 

Was ist Schuld?

Grundsätzlich lässt sich der deutsche Begriff „Schuld“ allgemein in drei Kategorien unterteilen: 

  1. der Mensch an sich ist Auslöser eines Übels (z.B. wurde ein wichtiger Termin verpasst und der geplante Deal kam nicht zum Abschluss)
  2. es wurde gegen eine moralische Regel verstoßen (z.B. wurde eine Straftat begangen) 
  3. es besteht eine Verpflichtung Dritten gegenüber, die nicht eingehalten wurde (z.B. die Miete wurde nicht gezahlt)

Allerdings ist nur aus dem Kontext heraus ersichtlich, welche der genannten Kategorie vorherrschend ist, wobei es fließende Übergänge gibt. 

Schuldgefühle entstehen also, wenn wir mit unserem Verhalten gegen unsere persönlichen verinnerlichten Werte und Normen verstoßen sowie von juristischen oder sozial anerkannten Vorschriften abweichen. 

Menschen mit geringem Selbstwertgefühl sind häufiger davon betroffen. Meist werden wir unseren eigenen moralischen Ansprüchen nicht gerecht, unser schlechtes Gewissen plagt uns und wir fühlen uns deshalb schuldig. Wir bewerten unser Verhalten als falsch und verurteilen uns dafür als Menschen, weil permanente Zweifel und Selbstvorwürfe unser Selbstbild negativ prägen.

Schuldgefühle äußern sich zumeist in körperlichen Reaktionen wie: Erröten, Schwitzen, innere Unruhe, Panik, Hilflosigkeit, Fieber oder Magenverstimmung. Als psychische Folgen können depressive Verstimmungen, Aggressionen, Angststörungen, schlimmstenfalls bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen auftreten. Oft gehen Scham (über einen gemachten Fehler) und Angst (vor Bestrafung) gemeinsam mit Schuldgefühlen einher. 

Woher kommen Schuldgefühle?

Sigmund Freud ordnete die Schuld im „Über-Ich“ einer Persönlichkeit ein, einer mächtigen Instanz, die die Wertvorstellungen und Normen und die moralischen Prinzipien repräsentiert, die in frühster Kindheit erworben und verinnerlicht worden sind. Anhand der Reaktionen der Bezugspersonen und des persönlichen Umfeldes erlernen Kinder, was verboten ist oder akzeptiert wird. Denkmuster, Annahmen und Überzeugungen aus dem privaten Raum werden übernommen und werden wie ein zu schwer gewordener Rucksack durchs Leben getragen.

Diese Instanz des „Über-Ich“ vertritt das Moralitätsprinzip, was bedeutet, dass es bei Gesetzesverstößen mit Schuldgefühlen, Gewissensbissen oder dem Wunsch nach Bestrafung reagiert. Aufgrund der erlernten Denkmuster kommt es zu der meist unbewussten Verknüpfung „Schuld = Bestrafung“. Diese aus der Vergangenheit geprägte Überzeugung trägt man dann ein Leben lang mit sich herum. Die Vorstellung der Selbstbestrafung für ein „Fehlverhalten“ kann sich u.a. durch folgende Anzeichen bemerkbar machen:

  • Suchtverhalten
  • Eifersucht
  • Essstörungen
  • Mobbingopfer sein
  • übermäßige Selbstkritik / Selbstzweifel
  • eigene Grenzen nicht wahrnehmen bzw. zulassen, dass diese von anderen überschritten werden
  • unverhältnismäßige Strenge gegenüber sich selbst und anderen
  • Selbstvorwürfe
  • toxische Beziehungen
  • selbstverletzendes Verhalten

Menschen mit einem stark ausgeprägten „Über-Ich“ zeigen häufig erhöhten Einsatz, haben hohe Ansprüche an ihre Leistung und können doch gleichzeitig andauernd an Schuldgefühlen leiden, weil sie der Meinung sind, sie können etwas nicht gut genug oder machen es immer falsch. Sie stehen damit unter einem dauerhaften Druck und StressDemzufolge spüren wir ein Schuldgefühl nur dann, wenn wir die frühen Wertvorstellungen auch innerlich übernommen haben.

Ein permanentes schlechtes Gewissen belastet, macht uns krank und hemmt uns in allen Lebensbereichen. Deshalb sollten wir versuchen, unseren zu schwer gewordenen Rucksack aus familiären, kulturellen oder historischen Überzeugungen abzustreifen und unsere daraus resultierenden Schuldgefühle lernen anzunehmen, sie als nützlich zu betrachten und ihre positiven Auswirkungen für unsere Gesundheit zu nutzen.

Normalerweise hat man aber Schuldgefühle, weil man schuldig geworden ist. Es ist völlig normal, schuldig zu werden. Das menschliche Leben besteht darin, Unrecht zu erleiden und Unrecht zu tun. Schuldbewusstsein, Schuldgefühle, Gewissensbisse und ein schlechtes Gewissen sind an und für sich Zeichen für psychische Gesundheit.

Raphael Bonelli (Wiener Psychiater und Neurowissenschaftler)

Denn eigentlich haben unsere Schuldgefühle wichtige Funktionen. 

Schuldgefühle haben auch positive Eigenschaften

Per se Schuldgefühle zu haben ist völlig normal und gehört zum Leben dazu, zeigt es dir doch, dass du zu einem „schlechten Gewissen“ fähig bist. Es ist gesund. Das Schuldgefühl signalisiert dir, dass du gegen deine innerlichen Werte oder auch äußerliche Normen verstoßen hast und dir dessen durchaus bewusst bist. So wie Schmerz einen körperlichen Schaden anzeigt, weist dich dein Schuldgefühl auf einen sozialen Schaden, z.B. dass du mit deinem Verhalten über das Ziel hinaus geschossen bist, hin. Im Grunde sagt dir deine so ungeliebte, angsteinflößende Emotion nichts anderes als: „DU BIST EIN GUTER MENSCH!“

Der Hinweis darauf, einen Fehler begangen zu haben, eröffnet dir neue Möglichkeiten, dich in Zukunft bewusst anders zu verhalten.

Sie bringen Dich dazu, deinen gemachten Fehler wieder gut zu machen, dich zu entschuldigen und Reue zu zeigen, Konflikte zu klären oder den entstandenen Schaden wieder zu bereinigen. Meist werden dadurch viele zwischenmenschliche Beziehungen gestärkt. Schuldgefühle sind eine Hilfe, dich in einem sozialen Gefüge sicher und anerkannt zu bewegen, indem du Grenzen kennenlernst, soziale Spielregeln einhältst und lernst, respektvoll und aufmerksam miteinander umzugehen. Dein Blick wird durch dein Schuldgefühl in die Zukunft gerichtet, und weist dir den Weg, dein Leben zukünftig konstruktiv besser zu gestalten. Aufgrund dessen, dass sich deine Schuldgefühle unangenehm anfühlen und du sie am liebsten vermeiden möchtest, sind sie großartige Antreiber, dich an soziale Regeln und moralische Werte zu halten. Du wirst an deinen Schuldgefühlen wachsen, indem du dich ihnen stellst. 

Wie es gelingt, deine Schuldgefühle zu überwinden:

1. Hinterfrage die Situation:

Am Anfang ist es wichtig, möglichst rational und ehrlich zu sein, ohne dich selbst zu bewerten, die Situation zu reflektieren und zu hinterfragen. Ändere deinen Blickwinkel und frage dich: 

  • Was ist der Grund, weshalb ich mich schuldig fühle?
  • Was habe ich getan / unterlassen?
  • Hatte ich auch eine andere Wahl?
  • Gegen welche Werte / Gesetze habe ich verstoßen? Woher stammen sie?
  • Welcher Schaden ist konkret entstanden?
  • Welche Konsequenzen sind zu erwarten?
  • Ist die Situation gerade wirklich so schlimm, wie sie sich anfühlt?
  • Habe ich zum damaligen Zeitpunkt der Verfehlung bereits wissen können, was ich heute weiß?

Dies ist ein Prozess, der Zeit braucht. Nimm sie dir, denn sie ist wichtig! Meist wird nämlich durch die Neubewertung der Situation schon klar, dass die Situation gar nicht so schlimm ist, wie sie sich anfühlt. Ein objektiver Blick hilft, das Gedankenkarussell zu durchbrechen und eine klarere Sicht zu bekommen. Wichtig ist in dieser Phase nur, dass du absolut ehrlich zu dir selbst bist, egal wie schmerzhaft sich die Antworten auch zunächst anfühlen mögen.

2. Akzeptiere deine Schwächen und Fehler:

Erlaube dir, dir selbst zu verzeihen! Ja, du hast einen Fehler gemacht und hättest dich möglicherweise anders verhalten können.  Doch deshalb bist du noch lange kein schlechter Mensch! Jeder von uns hat Schwächen und macht Fehler. Du kannst das Geschehene nicht ungeschehen machen. Führe dir vor Augen, dass du dein Bestmöglichstes in dieser Situation gegeben hast und keine Absicht dahinter steckte. In diesem Moment, als du so entschieden hast genau so zu handeln, warst du überzeugt davon, dass es richtig war! Aufgrund deiner persönlichen Geschichte, Denkmuster und Überzeugungen hast du so gehandelt, was durchaus zu einem unüberlegten und verantwortungslosen Verhalten geführt hat. Doch jeder von uns hat seine eigene Geschichte und handelt meist aus ihr heraus. Wir sind alle fehlbar! Akzeptiere, dass es passiert ist. Entscheidend ist, wie du nun damit umgehen wirst. Werte lediglich den Fehler, aber nicht dich als Person! Aus Fehlern lernst du, das gehört zu deinem Wachstum dazu und ist wichtig für deinen Lebensweg.

3. Eigenverantwortung übernehmen:

Hast du deinen Fehler für dich akzeptiert, musst Du nun auch zu ihm stehen! Verleugnen oder anderen die Schuld zuzuschieben bringt nichts. Du belügst dich damit nur selbst. Du kannst deine Schuldgefühle nur überwinden, wenn du dich selbst nicht aus deiner Verantwortung entlässt und diese umfänglich für das, was du getan oder unterlassen hast, übernimmst.  

4. Selbstwertgefühl aufbauen:

Hinterfrage deine Glaubenssätze und Überzeugungen und löse somit vergangene Belastungen und Verletzungen in dir auf. Die Lösung dieser Blockaden hilft dir in deiner Selbstwahrnehmung, um dich zukünftig zu stärken und besser wahrnehmen zu können und dadurch dein Selbstwertgefühl aufzuwerten. Ein stärkeres Selbstwertgefühl minimiert die Gefahr, dass du dir unbegründet Schuldgefühle machst. Denn du schätzt dich automatisch mehr wert, was auch dein Selbstbewusstsein unbewusst anhebt. Dies hilft dir dabei, zukünftige Situationen besser einschätzen zu können und somit Fehler zu vermeiden. Du lässt dich nicht mehr so leicht verunsichern und lernst, besser mit Fehlern und den daraus resultierenden Konsequenzen umzugehen. 

5. Wiedergutmachung anbieten:

Reue, eine ehrliche Entschuldigung bzw. Erklärung oder Ersatz für den angerichteten materiellen Schaden zu leisten führt zum einen dazu, Verantwortung für dein Handeln zu übernehmen und hilft dir zum anderen dabei, deine Schuldgefühle zu überwinden, wenn du bemerkst, dass dir dein Gegenüber womöglich vergibt. Wichtig ist hierbei, dass du tatsächlich ins Tun kommst! Dabei ist es egal, was du tust, Hauptsache du machst etwas. Damit zeigst du auch nach außen deine Bereitschaft, für deine Schuld gerade zu stehen. Dies hilft dir bei deiner Verarbeitung deiner Gefühle und kannst einen Schlussstrich unter deine Schuldgefühle setzen.

Fazit

Schuldgefühle haben gerade durch ihre für dich unangenehmen Emotionen die wichtige Funktion zu zeigen, dass du ein Mensch mit moralischen Werten bist, der sich an die sozialen Spielregeln halten möchte. Du gehörst also zu den Guten! Manchmal führen diese erlernten Werte jedoch zu innerlichen Blockaden, die ungesund sind und einer näheren Betrachtung bedürfen. Hierbei handelt es sich jedoch um einen langwierigen Prozess, der Zeit braucht. Es geht darum, deine Annahmen und Glaubenssätze zu hinterfragen und möglicherweise so umzustrukturieren, dass du mit ihnen besser, und selbstbestimmter leben kannst. Es werden neue Sichtweisen ausprobiert, aber du wirst auch lernen, das Gefühl von Schuld auszuhalten und zu akzeptieren. Auch sich selbst zu verzeihen und eine Form der Wiedergutmachung zu finden, erfordert Anstrengung, Mut und Geduld.

Befindest du dich auch in einem inneren Konflikt und findest keinen Weg hinaus, bieten wir dir in unserer Praxis mit unseren Coachings und therapeutischen Settings einen sicheren Raum in entspannter und wohlwollender Atmosphäre, um dir zu mehr Wohlbefinden und einem selbstbestimmten Leben zu verhelfen. Kontaktiere uns einfach!

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